Das Ehrenamt in Zeiten von Corona
Mein Alltag mit Corona: Christina Becker (BARMER)
„Fachlich immer auf der Höhe der Zeit“
Wie erleben die Selbstverwalterinnen und Selbstverwalter die Pandemie? Wie können die ehrenamtlichen Gremien der Rentenversicherung und der Krankenkassen unter Corona-Bedingungen ihre Aufgaben erfüllen? Christina Becker prüft als Versichertenvertreterin in einem der Widerspruchsausschüsse der BARMER, ob Widersprüche von Versicherten gegen eine Verwaltungsentscheidung berechtigt sind und ob die geltenden Gesetze und die Satzung der Kasse im jeweiligen Fall Spielraum für eine günstigere Entscheidung lassen. Dafür ist es ganz wichtig, fachlich jederzeit auf der Höhe der aktuellen Entwicklungen zu sein, sagt sie.

Frau Becker, sowohl die Gesetze als auch die Bestimmungen für unseren Alltag verändern sich seit Ausbruch der Pandemie in rasantem Tempo. Fühlen Sie sich in Ihrem Ehrenamt als Selbstverwalterin manchmal überfordert in diesen Tagen?
Ich würde es anders sagen: Wir sind stark gefordert. Nicht so sehr in technischer Hinsicht, da waren wir zum Glück sehr gut vorbereitet. Ein Jahr vor Corona hatte die BARMER die gesamte Selbstverwaltung mit iPads ausgestattet. In unserem Widerspruchsausschuss konnten wir dadurch schon im ersten Lockdown sofort von Präsenzsitzungen zu Videositzungen übergehen, und das hat von Anfang an gut geklappt. Die Schwierigkeiten liegen woanders, im menschlichen Bereich, wenn man es so bezeichnen will. Bei vielen Fällen, mit denen wir uns im Widerspruchsausschuss befassen, geht es ja um menschliche Schicksale. Die Betroffenen müssen reden, man muss ihnen zuhören, sich die besonderen Umstände ansehen. Bevor wir entscheiden können, ob ein konkreter Widerspruch berechtigt ist oder nicht, holen wir gegebenenfalls ein Zweitgutachten des unabhängigen Medizinischen Dienstes ein. Zum Schutz von besonders gefährdeten Patientengruppen finden in Pandemiezeiten weniger persönliche Begutachtungen statt. Anstelle von Hausbesuchen wird zum Beispiel die Pflegebedürftigkeit anhand strukturierter Telefoninterviews ermittelt. Das ist wirklich ein Nachteil, der durch die Kontaktbeschränkungen entsteht, die durch die Pandemie erforderlich sind.
Und fachlich? Fühlen Sie sich fachlich manchmal überfordert durch all die neuen Bestimmungen?
Nein, in keinster Weise. Da kann ich Sie wirklich beruhigen. Die Krankenkassen unternehmen sehr viel, um uns Selbstverwalter regelmäßig weiterzubilden, so dass wir immer auf der Höhe der Zeit sind. Unter Corona-Bedingungen passiert das im Moment natürlich nicht in Präsenzsitzungen, sondern per „Webinar“, wie man das jetzt nennt. Bei uns in der BARMER hatten wir in den vergangenen Monaten Fortbildungsveranstaltungen zum neuen Gesetz über Intensivpflege und Rehabilitation, zum Datenschutz, zu Grundzügen des Krankenkassenwahlrechts, zur Neustrukturierung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung und vielem anderen mehr. Besonders zum Nachdenken angeregt hat mich im März ein Webinar zur „Unternehmenssprache“. Da ging es darum, wie eine einheitliche, verständliche und versichertenorientierte Form der Kommunikation unserer Kasse aussehen sollte. Es wurde beispielsweise auch darüber diskutiert, ob es wirklich der passende Begriff ist, wenn wir unsere Versicherten als „Kunden“ bezeichnen. Auch solche Debatten gehören zur Weiterbildung einfach dazu.
Kann eine solche Fortbildung per Video ein vollwertiger Ersatz sein? Vielleicht sogar ein Modell für die Zeit nach der Pandemie?
Ich finde es zunächst einmal ganz wichtig, dass wir diese Möglichkeiten zur Fortbildung per Videokonferenz haben und dass das alles auch im strengen Lockdown funktioniert. In dieser komplizierten Zeit sind Webinare eine echte Alternative. Aber ein vollwertiger Ersatz? Nein, das denke ich nicht. Wenn man sich persönlich gegenübersitzt, ist die Diskussion intensiver, man kann sich besser austauschen, es kommt noch mehr dabei heraus. Klar, bei einer Präsenzsitzung kann es vorkommen, dass auch mal alle durcheinanderreden, und das passiert im Videogespräch nicht. Aber trotzdem hoffe ich, dass wir bald zu normaleren Verhältnissen zurückfinden können, in denen nicht alles am Bildschirm stattfinden muss.