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„Wir brauchen mehr Rechte und nicht weniger!“

Soziale Selbstverwaltung in der Corona-Zeit: Eine Bestandsaufnahme und ein Blick nach vorn

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hatte gemeinsam mit der Bundeswahlbeauftragten für die Sozialversicherungswahlen Rita Pawelski Ende April Vertreterinnen und Vertreter der Selbstverwaltung aus den Sozialversicherungszweigen zur Online-Podiumsdiskussion geladen. Thema: Selbstverwaltung in Zeiten von Corona.

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil würdigte das ehrenamtliche Engagement der Selbstverwalter in der Corona-Krise. Die Sozialversicherungen hätten maßgeblich dazu beigetragen, die sozialen Folgen der Pandemie abzumildern. Die Pandemie habe gezeigt, dass sich die Menschen auf ihre Sozialversicherung verlassen können. Das sei auch ein Verdienst der Selbstverwalterinnen und Selbstverwalter zum Beispiel bei den Krankenkassen und in der Rentenversicherung. Beispielhaft hob er die gute Arbeit der Deutschen Rentenversicherung hervor. Sie habe trotz Corona dafür gesorgt, dass die Rentnerinnen und Rentner stets ihr Geld pünktlich auf dem Konto hatten.

Eine besondere Stärke der Sozialversicherung in der Bundesrepublik sei der ständige Interessenausgleich zwischen Versicherten und Arbeitgebern in der Sozialen Selbstverwaltung, sagte Heil. Sie sei „ein gutes Stück Deutschland“. Klar sei: In Zukunft werde man mehr Interessenausgleich brauchen, nicht weniger. Der Interessenausgleich sei in unserer Gesellschaft unentbehrlich. Das werde auch in Zukunft so bleiben.

Die Bundeswahlbeauftragte Rita Pawelski würdigte ebenso wie Heil die in dieser Legislaturperiode beschlossene Modernisierung der Sozialwahlen. Es sei „ein riesiger Erfolg“, dass mehr als 20 Millionen Versicherte in den Krankenkassen in zwei Jahren erstmals die Möglichkeit haben werden, bei der Wahl der Verwaltungsräte ihre Stimme nicht nur per Brief, sondern auch online abzugeben. „Generationen von Selbstverwalterinnen und Selbstverwaltern haben dafür geworben. Jetzt ist es gelungen“, sagte sie.

Den Interessenausgleich in der Sozialen Selbstverwaltung betonte auch Uwe Klemens, Vorsitzender des Verbandes der Ersatzkassen e. V. (vdek). „Wir haben gemeinsam das Ganze im Blick“, erklärte er. In der Pandemie habe die Selbstverwaltung im Gesundheitswesen nicht nur nahezu wöchentlich auf die neuen Anforderungen reagiert – sie habe auch in ihrem eigenen Verantwortungsgebiet Neuerungen umgesetzt wie zum Beispiel bei der Einführung der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung oder der Ausweitung von Videosprechstunden in den Arztpraxen. Auch nach 140 Jahren, so Klemens, sei das Prinzip der Sozialen Selbstverwaltung unverändert lebendig und innovationsfähig.

Alexander Gunkel, alternierender Vorsitzender des Bundesvorstandes der Deutschen Rentenversicherung Bund für die Arbeitgeberseite, erklärte, die Finanzen der Rentenversicherung seien trotz Corona weiterhin stabil. Er verwies zudem auf die Leistungsfähigkeit der Rehabilitation. Viele Kliniken der Deutschen Rentenversicherung hätten in der Pandemie wegen der Kontaktbeschränkungen zunächst schließen müssen. Der Rückstau an Rehabilitationen sei aber so gut wie aufgelöst. Die Rentenversicherung Bereite sich nun auf eine verstärkte Nachfrage nach Rehabilitationsleistungen für Post-COVID-Patienten vor.

„Die Selbstverwaltung stärkt die Resilienz unseres Sozialsystems“, sagte Anja Piel, für die Versicherten im Bundesvorstand der Deutschen Rentenversicherung Bund. Um dies auch künftig sicherzustellen, sei es wichtig, die Selbstverwaltung attraktiver zu machen, vor allem für Jüngere und für Frauen. Dazu sei auch ein fairer Ausgleich für die im Ehrenamt verbrachte Zeit notwendig.

Alexander Gunkel lobte die neuen Sozialwahlgesetze, die hier viele Impulse der Sozialpartner aufgegriffen hätten: „Wir sehen uns selbst in der Verpflichtung, das umzusetzen“. Anja Piel wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass es auch die Freiräume zum Diskutieren und Mitbestimmen seien, die Menschen vom Ehrenamt in der Sozialversicherung überzeugten.

Zwei andere Aspekte hob Uwe Klemens vom vdek hervor. Unter Pandemiebedingungen sei der Bedarf an digitalen Lösungen im Sozialbereich gewachsen, und die Bereitschaft der Menschen im Land, sich auf die Digitalisierung einzulassen, nehme zu. Dieses Potenzial gelte es zu nutzen, sagte er. Ebenso prioritär sei eine Reform der Versorgungslandschaft. Die Sektorengrenzen zwischen ambulanter und stationärer Versorgung im Gesundheitswesen seien zu starr, und der Fachkräftemangel mache sich gerade in Corona-Zeiten überall bemerkbar. Für beides brauche es nachhaltige Konzepte.

Rita Pawelski, die als Bundeswahlbeauftragte nach gut zwei Stunden Diskussion das Schlusswort übernahm, kam noch einmal auf die neuen Sozialwahlgesetze zurück. „Wir brauchen die Begeisterungsfähigkeit und den Elan der jungen Menschen, die neue Ideen bringen“, sagte sie. Die beschlossene Einführung von Geschlechterquoten für die Selbstverwaltungs-Gremien sei ein wichtiger Schritt nach vorn. „Die Selbstverwaltung muss wieder mehr Verantwortung bekommen, mehr Mitsprachemöglichkeiten! Wir sollten dieses Instrument nicht schwächen, sondern stärken.“