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„Holen Sie eine zweite Meinung ein!“

Versichertenvertreter Michael Witte warnt vor übereilten Knie- und Hüft-OPs

Mehr als eine Viertelmillion künstliche Gelenke werden Patienten jedes Jahr in deutschen Kliniken implantiert. Doch nicht jede dieser OPs hilft dem Betroffenen wirklich, warnt Michael Witte, Mitglied des Verwaltungsrates der KKH.

Die Zahl der Hüft- und Knie-OPs steigt und steigt. Werden wir immer kränker, oder sind nur die Möglichkeiten der Medizin gewachsen?

Zweifellos kann die Medizin heute viel mehr leisten als noch vor zehn oder 20 Jahren. Dass mit der zunehmenden Alterung der Gesellschaft auch häufiger Gelenkprobleme auftreten, wird ebenfalls niemanden überraschen. Doch das allein kann die wachsende Zahl der Operationen noch nicht erklären. Bundesweit werden jährlich rund 141.000 künstliche Hüft- und 113.000 künstliche Kniegelenken implantiert – knapp ein Drittel mehr als noch vor zehn Jahren. Das größte Wachstum gibt es jedoch nicht etwa bei den Älteren, sondern bei den 45- bis 59-Jährigen, wie eine Auswertung für die KKH ergeben hat. In dieser Altersgruppe haben 2018 doppelt so viele Männer ein künstliches Kniegelenk erhalten wie noch 2008. Bei den Frauen waren es immerhin 44 Prozent mehr. Da stellt sich für mich als Versichertenvertreter die Frage, ob jeder dieser Eingriffe wirklich medizinisch notwendig war – und ob nicht auch wirtschaftliche Interessen der Krankenhäuser eine Rolle gespielt haben. Für sie sind diese Operationen nun mal eine wichtige Einnahmequelle.

Wird zu schnell operiert?

So pauschal würde ich das nicht sagen. Ist das natürliche Gelenk zum Beispiel durch Arthrose abgenutzt oder durch einen Unfall zerstört, und sind die Möglichkeiten der Physiotherapie ausgeschöpft, dann kann eine chirurgisch gut eingesetzte Prothese die Lebensqualität deutlich erhöhen. Sie kann nicht nur quälende Schmerzen nehmen, sondern sie verbessert auch die Beweglichkeit und erlaubt es den Trägern, wieder Sport zu treiben oder zu wandern. Aber jede OP bringt Risiken mit sich, und je jünger ein Patient bei der ersten Knie- oder Hüftgelenk-OP ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Prothese später einmal ausgewechselt werden muss. Dabei muss man wissen, dass solche Wechseloperationen meist aufwendiger sind als die Ersteingriffe und häufiger zu Komplikationen führen.

Was empfehlen Sie als Selbstverwalter, als Vertreter der Versicherten im Verwaltungsrat der KKH, einem Patienten, dem sein Arzt zu einem künstlichen Gelenk rät?

Betroffene sollten sich erkundigen, wie erfahren Kliniken beziehungsweise Operateure mit diesen Eingriffen sind. Hilfreich bei der Kliniksuche ist zum Beispiel die weisse-liste.krankenhaus.kkh.de, die unsere Versicherten im Internet nutzen können. Noch bevor ich mich für eine OP entscheide, würde ich aber auf jeden Fall eine zweite unabhängige Meinung einholen. Eine aktuelle Untersuchung der Universität Witten/Herdecke zeigt, wie weit die Einschätzungen der Ärzte auseinanderliegen: Von hundert Patienten, denen ihr Arzt zu einem künstlichen Hüftgelenk riet, erhielten nur 57 von einem anderen Arzt die gleiche Empfehlung. Zu einem neuen Kniegelenk rieten sogar nur 26 Prozent der Ärzte, die um eine Zweitmeinung gebeten wurden. So gesehen waren fast jede zweite Hüft-OP und beinahe drei von vier Knie-OPs möglicherweise vermeidbar, und gezielte Physiotherapie hätte den gleichen oder mehr Erfolg versprochen.

Patienten sollten also unbedingt noch einen weiteren Arzt konsultieren. Detaillierte Hilfe bei der Suche geben wir ihnen auf unserer Internetseite kkh.de/zweitmeinung. Im Verwaltungsrat, dem Sozialparlament unserer Kasse, haben wir beschlossen, dass unseren Versicherten dadurch keine Kosten entstehen sollen. Das Gutachten zahlt die KKH für sie.