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„Frauen haben eine andere Sicht der Dinge“

Wie steht es um die Gleichstellung von Frauen und Männern in der Selbstverwaltung der Rentenversicherung und der Krankenkassen? Anlässlich des Internationalen Frauentages am 8. März geben Dagmar König, Mitglied des Vorstands und alternierende Vorsitzende des Personalausschusses des Vorstandes der Deutschen Rentenversicherung Bund, und Ulrike Hauffe, Stellvertretende Vorsitzende des Verwaltungsrates der BARMER, engagiert Auskunft.

Frau König, Frau Hauffe, in gut zwei Jahren werden die Sozialparlamente in der Renten- und der Krankenversicherung neu gewählt. Der Gesetzgeber hat festgelegt, dass bei diesen Sozialwahlen zum ersten Mal eine Quotenregelung gelten wird. Sind Sie zufrieden mit den Neuerungen?

Dagmar König: Mit der Einführung einer Geschlechterquote ist ein wichtiger Schritt hin zu mehr Gleichberechtigung von Frauen getan worden. Ich bin sehr froh darüber, auch wenn wir uns noch einiges mehr gewünscht hätten. Es hat ja seit vielen Jahren Anstrengungen gegeben, die Sozialwahlen zu modernisieren, jetzt hat es endlich geklappt, und die Einführung einer Geschlechterquote ist ein großer Erfolg. Denn Frauen haben eine andere Sicht der Dinge, nicht unbedingt eine bessere, aber eine andere. Um ein umfassendes Bild zu bekommen und in den Sozialparlamenten die richtigen Entscheidungen treffen zu können, brauchen wir den Blick aller Versicherten, den der Frauen ebenso wie den der Männer.

Ulrike Hauffe: Ich kann Dagmar König nur zustimmen. Schauen Sie sich doch an, wo wir heute stehen: In den 20 größten Krankenkassen in Deutschland liegt der Anteil von Frauen in der Selbstverwaltung aktuell zumTeil weit unter 25 Prozent, bei uns in den Ersatzkassen immerhin etwas höher, bei 36 Prozent. Frauen bilden aber mehr als die Hälfte der Versicherten! Wird ihre Expertise etwa nicht gebraucht? Von der Sozialwahl 2023 an müssen nun viele Organisationen mindestens 40 Prozent Frauen nominieren, wenn sie ihre Liste der Kandidatinnen und Kandidaten für die Verwaltungsräte der Krankenkassen aufstellen. Das ist eine deutliche Verbesserung – auch wenn ich statt einer 40-Prozent-Quote natürlich lieber eine 50-Prozent-Quote hätte.

Dagmar König: Für die Vertreterversammlungen in der Rentenversicherung sind die Regeln ganz ähnlich. Bei uns hat der Gesetzgeber allerdings keine verbindliche, sondern nur eine Soll-Quote vorgesehen. Da hätte ich mir deutlich mehr gewünscht

Wie hat sich der Frauenanteil in den Gremien der Sozialen Selbstverwaltung in den letzten Jahren entwickelt?

Ulrike Hauffe: Die Entwicklung ist durchaus ermutigend, wie eine Studie für die Ersatzkassen zeigt. Unter denen, die bei der letzten Sozialwahl 2017 erstmals in unsere Sozialparlamente gewählt worden sind, lag der Anteil der Frauen bereits bei 42 Prozent. Im Durchschnitt sind die Frauen in den Verwaltungsräten jünger als die Männer, und ein größerer Teil von ihnen steht noch im aktiven Berufsleben. Das räumt auch auf mit dem bequemen Vorurteil, Frauen würden es nicht schaffen, Job, Familie und Ehrenamt miteinander zu vereinbaren.

Dagmar König: Arbeits- und zeitaufwändig ist das Ehrenamt in der Sozialen Selbstverwaltung aber durchaus. Da wir mehr junge Menschen, die im Berufsleben stehen, und mehr Frauen gewinnen wollen, begrüße ich, dass das ehrenamtliche Engagement in der Sozialen Selbstverwaltung mit dem Gesetz zur Modernisierung der Sozialversicherungswahlen gestärkt und die Rahmenbedingungen für Freistellungen und Fortbildungen verbessert wurden.

Sind die verschiedenen Organisationen, die ihre Vertreter in die Sozialparlamente entsenden, auf die Geschlechterquote eigentlich vorbereitet?

Dagmar König: Wir haben auf der letzten Vertreterversammlung darüber gesprochen, und ich habe gespürt, dass alle Listen gewillt sind, die Quoten zu erfüllen. Ich selbst bin ja 2017 für die Liste meiner Gewerkschaft angetreten und von den Versicherten, den Rentnerinnen und Rentnern, gewählt worden, und für uns kann ich sagen: Wir praktizieren Quotenregelungen schon lange. –  Dennoch sind Frauen in den Selbstverwaltungsgremien der gesetzlichen Sozialversicherung erheblich unterrepräsentiert.

Ulrike Hauffe: Im Gesundheitswesen stellt es sich ähnlich dar. Sehen Sie sich den Gemeinsamen Bundesausschuss an, das oberste Selbstverwaltungsgremium, das entscheidet, welche Leistungen bundesweit angeboten und von den Kassen bezahlt werden. Von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung über die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung bis zur Deutschen Krankenhausgesellschaft – auf der Seite der sogenannten Leistungserbringer sitzt keine einzige Frau uns Vertreterinnen und Vertretern der Kassen gegenüber. Auch da gibt es deutlich Luft nach oben!

Geben Sie uns bitte ein Beispiel, warum es so wichtig ist, dass Frauen in der Sozialen Selbstverwaltung besser vertreten sind.

Ulrike Hauffe: Nehmen wir den Bereich der Arzneimittel. Forschung und Lehre finden bei uns überwiegend anhand von männlichen Normgrößen statt. Frauen sind in vielen klinischen Studien nicht ausreichend repräsentiert, weil die Pharmafirmen mehr Probandinnen wegen potenzieller Schwangerschaften einplanen müssten, und das würde für sie teurer. Obwohl wir wissen, dass viele Medikamente bei Frauen und Männern verschieden wirken – ob es nun Aspirin ist oder ein Herzmittel oder ein Betablocker –, werden nur selten Dosierungsempfehlungen spezifisch für Frauen erforscht. Wenn man nicht als Krankenkasse fordert, dass sich da etwas ändert, dann würden viele Dinge einfach so weiterlaufen.

Dagmar König: Ich gebe Ihnen ein Beispiel aus der Personalentwicklung. In der Rentenversicherung arbeiten grob geschätzt 70 Prozent Frauen und 30 Prozent Männer. Dieses Verhältnis finden wir aber noch nicht auf allen Ebenen und vor allem nicht im Ausbildungsbereich bei den Professuren unserer Hochschule wieder. Daher setze ich mich dafür ein, vor allem auch bei Führungspositionen für angemessene Teilhabe zu sorgen.

Wird die Soziale Selbstverwaltung mit der Einführung der Quoten nun zu einer Vorreiterin einer größeren Geschlechterparität in der Bundesrepublik?

Dagmar König: Wir haben in den letzten Jahren schon eine Reihe von Versuchen erlebt, die Präsenz von Frauen im öffentlichen Leben, in der Politik, in der Wirtschaft zu erhöhen. Dort fügt sich das, was jetzt in der Sozialen Selbstverwaltung passiert, zumindest ein.

Ulrike Hauffe: Ich setze große Hoffnungen auf das Zweite Führungspositionen-Gesetz, das gerade die parlamentarischen Instanzen durchläuft. Nach dieser Vorlage werden auch alle Krankenkassen mindestens eine Frau in ihren hauptamtlichen Vorstand schicken müssen, wenn dieser Vorstand nicht nur zwei Personen umfasst. Bisher sind die Männer dort weitgehend unter sich. Ich finde es Klasse, dass sich hier endlich etwas ändert.

Die Modernisierung der Sozialwahlen, zu der auch ein Modellversuch für optionale Onlinewahlen zunächst nur bei den Krankenkassen gehört, ist ein Meilenstein für die Soziale Selbstverwaltung. Welche Prioritäten setzen Sie jetzt für Ihre weitere Arbeit?

Ulrike Hauffe: Ich möchte erreichen, dass mehr Menschen verstehen, was Soziale Selbstverwaltung überhaupt bedeutet. Manche Leute verwechseln die Krankenkasse vielleicht mit einer Bank, wenn sie ihr ihr Geld anvertrauen. Doch bei uns geht es nicht um Zins und Zinseszins, sondern um die solidarische Finanzierung eines Gesundheitswesens, das für alle da ist. Und anders als in einer Bank können wir als Versicherte durch die Sozialwahlen in den Verwaltungsräten selbst darüber mitbestimmen, was mit unserem Geld passiert und wohin sich alles entwickelt. Das ist eine grandiose demokratische Errungenschaft!

Dagmar König: Ich spüre bei vielen in diesem Land ein großes Bedürfnis, sich aktiv einzubringen in unsere Demokratie. Bei uns in der Sozialen Selbstverwaltung ist das tatsächlich möglich. In der Deutschen Rentenversicherung Bund bestimmen wir als ehrenamtliche Selbstverwalterinnen und Selbstverwalter über einen Haushalt, der so groß ist, dass es nur drei DAX-Unternehmen gibt, die mehr Geld verwalten. Wir geben Anregungen, wir setzen eigene Schwerpunkte, wir helfen den Menschen in ihrem Alltag. Ich will erreichen, dass sich mehr Menschen daran beteiligen. In der Selbstverwaltung. Und in zwei Jahren, 2023, wieder als Wählerinnen und Wähler bei der Sozialwahl.