Zum Hauptinhalt springen

„Wir brauchen Kooperation statt Alleingänge“

Die Verwaltungsratsmitglieder Katrin Schöb und Dr. Anne Thomas im Interview

Im Herbst 2021 endete die 19. Legislaturperiode. Begonnen hatte sie mit dem politischen Versprechen im Koalitionsvertrag, die Selbstverwaltung zu stärken. Katrin Schöb und Dr. Anne Thomas aus dem Verwaltungsrat der TK erläutern im Interview, was sich im Verhältnis zwischen Staat und Selbstverwaltung ändern muss.

Wie hat sich das Verhältnis von Staat und Selbstverwaltung in den vergangenen Jahren entwickelt?

Anne Thomas: Die Rollenverteilung verschiebt sich immer weiter zugunsten des Staates. Galt einst, „der Staat gibt den Rahmen vor, die Selbstverwaltung kümmert sich um die Ausgestaltung“, versteht sich der Staat inzwischen selbst immer mehr als konkreter Ausgestalter – die Spielräume der sozialen Selbstverwaltung hingegen werden immer kleiner.

 

Gibt es dafür Beispiele?

Katrin Schöb: Leider viel zu viele. Das Terminservice- und Versorgungsstärkungsgesetz etwa beschneidet unsere Möglichkeiten, Vorstandsverträge zu gestalten, obwohl die Vorstandswahl ureigene Aufgabe der Verwaltungsräte ist. Das Versichertenentlastungsgesetz koppelte die Beitragsgestaltung an das Abschmelzen von Finanzreserven. Noch drastischer wirkte das Gesundheitsversorgungs- und Pflegeverbesserungsgesetz, in dessen Folge allein bei der TK Reserven von über einer Milliarde Euro eingezogen wurden.

 

Warum ist die soziale Selbstverwaltung so wichtig für das Gesundheitssystem?

Katrin Schöb: Je größer die Handlungsspielräume der sozialen Selbstverwaltung sind, desto unabhängiger ist das Gesundheitssystem vom Politikgeschäft, also auch von partei- und realpolitischen Interessen. Mehr Unabhängigkeit bedeutet auch, dass die Finanzierung von Gesundheit eben nicht mit anderen Politikfeldern um Relevanz und Aufmerksamkeit konkurrieren muss.

Anne Thomas: Entscheidungen, die zwischen den Sozialpartnern ausgehandelt wurden, stabilisieren das System. Sie werden von zwei „Seiten“ mitgetragen, die sich qua Funktion oft diametral gegenüberstehen, also von Arbeitgebern und Arbeitnehmern. So entstehen nachhaltige und praktikable Lösungen, die systembezogene Besonderheiten, Prozesse und Herausforderungen einbeziehen.

„Je größer die Handlungsspielräume der sozialen Selbstverwaltung sind, desto unabhängiger ist das Gesundheitssystem vom Politikgeschäft.“
Katrin Schöb, Versichertenvertreterin im Verwaltungsrat der TK
Katrin Schöb, TK

Was heißt das für die Zukunft?

Katrin Schöb: Auf unser Gesundheitssystem kommen viele Herausforderungen zu, etwa durch die demografische Entwicklung. Das kann keine Institution im Alleingang schultern – gefragt sind Kooperation und Kompetenzen, die im System verankert und zum Interessensausgleich fähig sind.

Anne Thomas: Deshalb muss die Politik die soziale Selbstverwaltung wieder als Partner begreifen statt als Konkurrenz. Das heißt auch, dass wir Selbstverwalterinnen und Selbstverwalter weiterhin aktiv für unsere Rechte und Kompetenzen eintreten müssen.

„Die Politik muss die soziale Selbstverwaltung wieder als Partner begreifen statt als Konkurrenz.“
Dr. Anne Thomas, Arbeitgebervertreterin im Verwaltungsrat der TK
Dr. Anne Thomas, TK