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„Das Umlageverfahren hat sich bewährt“

Vor 65 Jahren wurden für die Finanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung in der Bundesrepublik die Weichenstellungen in Richtung Umlageverfahren gestellt. Nicole Spieß, Vorsitzende des Haushalts- und Finanzausschusses im Sozialparlament der Deutschen Rentenversicherung Bund, erläutert, wie sich dieses Verfahren seither bewährt hat, und sie richtet den Blick nach vorn.

Frau Spieß, bitte klären Sie uns zunächst auf: Was verbirgt sich hinter den sperrigen Begriffen Kapitaldeckungsverfahren und Umlageverfahren?

Gerne, und keine Sorge – es klingt komplizierter, als es ist. Bis 1957 sah die Konzeption zur Finanzierung der Renten in Deutschland bzw. der Bundesrepublik vor, dass diese im Wesentlichen aus einem Kapitalstock erfolgt: Die Beitragsgelder wurden zu einem wesentlichen Teil in Aktien oder Anleihen angelegt und aus den erwirtschafteten Zinsen, Dividenden und dem Verkauf dieser Anlagen wurden die Altersbezüge bezahlt. Damit war die Finanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung auch von Entwicklungen auf dem Kapitalmarkt betroffen: Einschneidend für das Finanzierungssystem der Rentenversicherung waren die Auswirkungen der Weltkriege und ihre Folgeschäden, zu denen man auch die Phasen hoher Inflation und die Währungsreformen zählen kann. Sie bewirkten, dass das Vermögen der Rentenversicherung mehrfach fast vollständig entwertet wurde. Eine Finanzierung auf dem Wege der Kapitaldeckung erschien daher zudem schwieriger, eine Finanzierung dynamischer Renten fast ausgeschlossen.

Aus all diesen Erwägungen heraus wurde das System vor 65 Jahren schrittweise umgestellt. Die Renten, die jeden Monat an die heutigen Rentnerinnen und Rentner ausgezahlt werden, stammen jetzt im Wesentlichen aus den Rentenbeiträgen der Versicherten und der Arbeitgeber. Was sie Monat für Monat an die Rentenversicherung überweisen, wird dort nicht etwa „auf die hohe Kante gelegt“, und im Alter rufen wir unser angespartes Geld ab. Die Rente von heute wird vielmehr mit den Beiträgen von heute finanziert, und die Rente von morgen kommt aus den Beiträgen der Beitragszahler von morgen. Das Umlageverfahren beruht insofern auf einem Generationenvertrag.

Hat sich dieser Generationenvertrag in der Praxis bewährt?

Ja, ganz eindeutig. Denken wir nur an die Ausnahmesituation nach der deutschen Wiedervereinigung, als viele Millionen Menschen im Osten Deutschlands innerhalb kürzester Zeit in die bis dahin rein westdeutschen Strukturen integriert wurden. Natürlich hat es damals Transferleistungen gegeben, das ist unbestritten. Wenn ich aber auch heute noch manchmal höre, die Ost-Renten seien viele Jahre lang aus dem bezahlt worden, was die West-Rentnerinnen und -Rentner vorher erarbeitet hatten, kann ich nur sagen: Das ist völlig falsch! Die Renten in Ost u n d West nach 1990 wurden bezahlt aus dem, was die Menschen in Ost u n d West gemeinsam erarbeiteten. Das ging nur mit dem Umlageverfahren, das sich gerade in dieser Ausnahmesituation ganz großartig bewährte.

Ich möchte unbedingt noch einen zweiten Punkt ansprechen, nämlich den dynamischen Charakter unseres Rentensystems. Vor 1957 wurden die Leistungen der Rentenversicherung nicht wirklich an die Lohnentwicklung angepasst. Ganz anders ist es heute: Allein von 2010 bis 2020 sind die Renten um rund 25 Prozent gestiegen und folgten damit der Lohnentwicklung. Die Rentnerinnen und Rentner sind also nicht von der allgemeinen Entwicklung der Einkommen bei uns im Land abgeschnitten, sondern sie nehmen teil an ihr. Das kann man gar nicht genug würdigen.

Werfen wir einen Blick nach vorn. Die Menschen werden zunehmend älter, auf immer weniger Menschen im Erwerbsalter kommen immer mehr Rentnerinnen und Rentner. Ist die umlagefinanzierte Rente in der Zukunft da noch sicher?

Der demografische Wandel ist eine echte Herausforderung, das will ich gar nicht bestreiten. Er betrifft aber nicht nur unsere gesetzliche Rentenversicherung, sondern auch andere Formen der Alterssicherung und unsere Gesellschaft insgesamt. Für die Stabilität unseres Umlageverfahrens ist es besonders wichtig, dass wir die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auch künftig auf einem hohen Niveau halten. Dazu gehört nicht zuletzt, dass wir die sozialen Bedingungen dafür schaffen, dass noch mehr Frauen als heute schon erwerbstätig sein können und wollen. Die erwerbsbezogene Zuwanderung kann ebenfalls helfen, die Folgen des demografischen Wandels zu bewältigen und die umlagefinanzierte Rente fit für die Zukunft zu machen.

Auch in der Finanzkrise 2008 und in der aktuellen Pandemie hat sich unser vor 65 Jahren eingeführtes Rentensystem als echter Stabilitätsanker erwiesen. Der Beitragssatz liegt heute niedriger als Mitte der 80er Jahre. Für Katastrophenszenarien gibt es also keinerlei Anlass. Gleichwohl sind wir gut beraten, die weiteren Entwicklungen aufmerksam zu beobachten und zur Stärkung unseres Rentensystems gegebenenfalls auch über kapitalgedeckte Elemente nachzudenken.

Unsere gesetzliche Rentenversicherung hat in der Vergangenheit die jeweilige Herausforderung – auch dank ihres Umlageverfahrens – gut gemeistert. Deshalb bin ich optimistisch, dass ihr das auch in den kommenden Jahren gelingen wird.